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Kraft und ein Koffer voller "Schminke"

Von Lucia Lenzen

17. Juni 2005 | Wie bekommt man einen 450 Kilo schweren, zwei Meter breiten und 2,50 Meter langen Flügel am besten durch eine Wohnungstür? Im Prinzip ist es ganz einfach: Tür auf, Flügel hoch und durch. Im Detail braucht man dazu aber mindestens drei muskulöse Männer, ein paar Meter reißfesten Tragegurt und eine eingespielte Technik. So eine, wie sie die drei Mitarbeiter vom Frankfurter Klaviertransport „Piano Pati“ beherrschen.

Sechs bis zehn Klaviertransporte stehen für die insgesamt sechs Angestellten des Unternehmens täglich auf dem Programm. „Bis 480 Kilo transportieren wir alles aus dem Gurt heraus“, berichtet der Geschäftsführer des Unternehmens, Sandro Pati. Es ist neun Uhr früh, und für seine Männer steht schon der zweite Kraftakt des Tages an: 450 Kilo wiegt der Konzertflügel Marke Steinway, der in der Wandelhalle der Frankfurter Paulskirche auf seinen Transport wartet. Pompös und wuchtig steht er da. Der hochgeklappte Deckel läßt ihn noch unhandlicher und größer erscheinen.

Vater packt mit an

Auch Sandro Patis Vater, Gino Pati, wird hier heute mit anpacken. Er wird in diesem Jahr 61 Jahre alt. Seit 30 Jahren ist er Klaviertransporteur. Wie es seinem Rücken geht? Da habe er schon lange keine Schmerzen mehr. Die meiste Kraft komme sowieso aus den Beinen. In seiner grauen Latzhose kniet er neben dem Flügel und beginnt die sogenannte „Lyra“, die Leiste, an der die Pedale angebracht sind, abzumontieren.

Seine Kollegen Jörg Hahner und Marco Eberling machen sich derweil mit ihren Schraubenziehern am Deckel und den drei Beinen zu schaffen. „Das ist heute ein einfacher Transport mit einem schweren Instrument“, beschreibt Jörg Hahner ihren bevorstehenden Weg von der Wandelhalle über den Treppenabgang bis zu ihrem Transporter. Er macht heute den „Spitzenläufer“ im Transportteam, das heißt, er trägt den Flügel an seinem schmalen, leichten Ende und dirigiert gleichzeitig seine zwei rückwärts laufenden Kollegen. In ihren Gurten hängt das schwere Ende mit dem Spieltisch.

„Klavier-Koller“

Der schwarze Steinway ist mittlerweile auf den geschwungenen Resonanzkörper und den Spieltisch reduziert worden. Zwischen Klaviatur und Klappe kommt ein Lappen, der gesamte Flügel ist kurz darauf unter einer blauen Decke verschwunden. Jetzt fehlt nur noch der Trage-Clou: Mit einem Griff steht das Instrument hochkant und wird von Hahner mit dem sogenannten Schlitten, einer Holzleiste an der geraden Seite, bestückt. Ihren Halt findet die Leiste lediglich durch zwei, dafür aber fast daumendicke Schrauben.

Zehn bis elf Stunden pro Tag sind die Männer täglich für Klavierhäuser, Privatpersonen oder Musikschulen im Einsatz. Sie transportieren vom ersten bis in den fünften Stock, manchmal auch nur von Tür zu Tür. Nach ihrer Arbeit möchten sie allerdings nichts mehr mit dem Instrument zu tun haben. Bei Marco Eberling führt schon allein die Vorstellung, sich nach getaner Arbeit noch selbst an die Tasten zu setzen, zum „Klavier-Koller“.

Ein falscher Befehl und der Fuß ist verknackst

Aber auch während der Arbeit würde er manchmal am liebsten in die Luft gehen. Erst vor kurzem mußten sie einem besserwisserischen Kunden mit viel Schweiß ihr perfektes Augenmaß beweisen: Trotz aller Hinweise war er überzeugt, sein Klavier passe durch die Eingangstür im fünften Stock. Erst als die Männer mit dem Instrument im Rahmen feststeckten, ließ er von seiner Meinung ab. Weniger anstrengend, dafür aber hinderlicher seien die überängstlichen Liebhaber. Unaufhörlich schlichen sie um ihr Juwel und seine Transporteure herum, um sicherzugehen, daß auch niemand irgendwo anecke. Harte Worte seien in diesen Momenten jedoch fehl am Platz - für viele Menschen sei das Klavier eben mehr als ein Tonwerkzeug. Nicht umsonst nennt Sandro Pati sein Geschäftsfeld auch „Transporte mit Herz“.

In der Paulskirche ist die Atmosphäre heute allerdings eher nüchtern: Die drei Männer haben ihre Gurte bereits eingehängt. Hockend schauen sie in die Richtung ihres Spitzenläufers. „Und auf!“ Jörg Hahner drückt die Knie durch und richtet den Rücken auf. Jetzt nur nicht die Luft anhalten, Preßatmung kann bei solchen Kraftanstrengungen gefährlich werden. Die gerade Strecke zwischen Empore und Treppe ist für die drei ein Kinderspiel. Jetzt müssen sie es nur noch die Stufen herunter bis zum Ausgang schaffen. „Gut, ja, noch etwas nach rechts, nicht so weit.“ Hahner diktiert den Kollegen jeden Tritt. Ein falscher Befehl und man hat sich den Fuß verknackst. Doch heute geht alles reibungslos. Abgesehen vom Schnaufen und Stapfen der Männer, ist es in der Kirche mucksmäuschenstill. Nur einmal entweicht dem schräg hängenden Instrument ein leises Klimpern.

Immer einen „Schminkkoffer“ dabei

Nach ein paar Minuten ist der Flügel samt Lyra, Beinen und Hocker in dem kleinen Transporter verstaut, und die Gesichter der Männer haben zu ihrer natürlichen Farbe zurückgefunden. „Für den Fall, daß einmal etwas passiert, haben wir immer einen kleinen Schminkkoffer mit Polituren und Glasreiniger dabei.“ Marco Eberling hockt sich für eine Verschnaufpause auf die offene Ladeklappe. So ein Konzertflügel habe sieben Schichten Lack, da schleife man kleine Kratzer einfach weg. Besser sei aber, erst gar keine Kratzer zu produzieren. So wurde auch beim heutigen Konzertflügel vorsorglich die breite Seite mit Tesa abgeklebt. Hier geht es schließlich um ein Instrument im Wert von rund 65000 Euro. Dagegen ist der Transport mit 250 Euro fast günstig, innerhalb eines Hauses kostet er sogar nur 90 Euro.

Die Festangestellten freuen sich natürlich am meisten über das Trinkgeld. Das fließe heute allerdings nicht mehr so reichlich wie früher. Die Zahl der Transporte hat sich dagegen nicht verringert: Auch heute stehen noch sechs weitere Aufträge an. Gleich müssen die Männer zum Flughafen. Hier erwartet sie allerdings kein kostspieliger Kraftakt sondern eine billige Konditionsaufgabe: 20 Konzertflügel der Marke „No Name“ aus Taiwan.

Quelle: www.faz.net


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